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Zerrspiegelkabinett

Österreich spielt um die Qualifikation für die Endrunde der Europameisterschaft. Dabei wird ein Gegner mit einer teilweise wirklich sehenswerten Leistung und in der zweiten Hälfte mit besorgniserregenden kleinen Ratlosigkeiten, die glücklicherweise überstanden werden, knapp mit 1:0 besiegt. Der Kommentator muss sich ein anderes Spiel angesehen haben, der erzählte nämlich überraschenderweise in der zweiten Hälfte von einer ungebrochenen Überlegenheit der heimischen Mannschaft, als gerade ein paar Missgeschicke für erhöhten Puls sorgten. Es ist nun nichts neues, dass österreichische Fussballkommentatoren viele Zuseher bei der letzten WM in Brasilien zu anderen Sendern verscheucht haben, das funktioniert zur Zeit leider schlecht, weil Österreich gegen Liechtenstein eher nicht bei ARD oder ZDF übertragen wird. Jedenfalls wüsste ich gerne Bescheid über diesen Filter, durch den dieser Kommentator anscheinend das Spiel gesehen hat. Ich will das gar nicht als rosa Brille bezeichnen, weil die Folgen ja fatal sein können: Da redet ein weiterer Kommentator vom besten Spiel der Österreicher bisher, bis endlich der Trainer zu Wort kommt und zu vieler Überraschung meint, dass er mit einigen Dingen durchaus nicht zufrieden sei, deswegen aber nicht das Spiel und die Mannschaft schlechtredet: Sechs Punkte aus zwei Spielen, Hut ab. Das hat mir zumindest bestätigt, wahrscheinlich das richtige Spiel gesehen zu haben, kurzfristig war ich mir da nicht mehr sicher. Würde der Trainer das Spiel über durch so einen Zerrspiegel ansehen, könnte man sich die Qualifikation eher gleich aufzeichnen.

Ähnlich verhält es sich mit merkwürdigen Auffassungen von der Einhaltung von Gesetzen, Quotenerfüllungen und von humanitärer Grundhaltung insgesamt. Ein kleiner Ort an einer Grenze tut, was zu tun ist, es werden also Quartiere und Hilfestellung für Flüchtlinge aus Syrien oder dem Nahen Osten insgesamt bereitgestellt. Genauso, wie es von Orten ab einer bestimmten Einwohnerzahl zu erfüllen ist. Dass es in diesem Land Angst vor allem und jedem gibt, das nicht so aussieht wie gewohnt, ist bekannt. Nirgendwo zutreffender ist der Satz vom alten Methusalix, dem Greis aus dem wohlbekannten gallischen Dorf, in dem Asterix wohnt, in Grenzregionen allgemein, als Fremde sich im Dorf niederlassen wollen: „Ich habe nichts gegen Fremde, einige meiner besten Freunde sind Fremde, aber dieser Fremde da ist nicht von hier.“ Die Reflexe werden auch schnellstens aufgeschrieben. Bald ist alles voller Asylanten! Auf diversen Internetplattformen finden sich natürlich auch gleich Anhänger von solchen Warnungen. Denen gefällt das dann auch, like, Daumen hoch. Wie zu Cäsars Zeiten. Bewundernswert sind die Abgründe, die sich hier auftun und die nicht wiederholt werden müssen. Bemerkenswert ist vor allem, dass dieser Müll nicht von vermuteter einschlägiger Seite kommt – wobei dort bestimmt auch genug los ist -, nein, es kommt quasi direkt von der Partei, die hierzulande den Bundeskanzler stellt, Gratulation. Kaum ist die Entnazifizierung quasi aus altersbedingten Gründen einigermaßen abgeschlossen, geht ein anderer Wind los, gegen alles und jeden hetzen können wir auch, das müssen wir nicht dem rechten Mob allein überlassen. Und wenn man den Zerrspiegel genauer betrachtet, wird aus einer Kanzlerpartei ganz schnell etwas, das man nicht gerne anfasst, womit man nicht gerne zu tun haben möchte.

Woher dieser Wind weht hat nicht zuletzt auch damit zu tun, wer in diesem Land vor ein paar Jahren unter Anführungszeichen Regierungsverantwortung übernommen hat. Einige dieser Günstlinge sind stets in den hiesigen Medien präsent, meist in Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen, wobei stets mit Bedacht die inflationäre Unschuldsvermutung einhergeht. Der Zerrspiegel funktioniert aber auch in all diesen Fällen prächtig: Es geht immer alles mit rechten Dingen zu. Gerade einmal durchschnittlich begabte Menschen halten den Rest der Welt für noch weniger begabt oder gleich für vollkommen unterbelichtet und erzählen mit Gelassenheit, dass dieser Rest der Welt die Genialität dieser Kollegen einfach nicht versteht.
Das Problem dabei liegt nicht in der tatsächlichen Deutung von Rechtslagen, es liegt in der fatalen Tatsache der vollkommenen Unfähigkeit, Dinge im Rahmen einer allgemeinen sozialen Verträglichkeit begreifen zu können. Alles wird gnadenlos und kompromisslos ausgereizt, es geht so lange, bis es auch einem Gericht möglicherweise zu weit geht, und dann schauen wir einmal, was dabei herauskommt: Vieles lässt sich immer noch wegverhandeln. Auch wenn es einer Rechtslage entspricht, heisst es noch lange nicht, dass es mit dem Grundverständnis einer vermeintlich staatstragenden Persönlichkeitsstruktur konform gehen kann, was eigentlich zu erwarten wäre. Sintfluten passieren hinterher mit einer Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen suchen muss. Ruinierter Ruf? Wurscht. Anscheinend wirklich egal. Demnach ist bis zu einem gewissen Grad die Überheblichkeit dieser Protagonisten in Rechtsverfahren erklärbar, werden sie doch nach wie vor als klasse Burschen betrachtet – es handelt sich dabei quasi ausschließlich um männliche Protagonisten - egal, welche Trümmerhaufen sie im Fahrwasser einer Machtphase hinterlassen haben. In Ehrfurcht wird da von verstorbenen Politikern gesprochen, die ausser verbrannter Erde genau nichts hinterlassen haben, aber über Tote redet man nicht schlecht. Dass sie konstruktiv nichts geleistet, sondern vieles zerstört haben, lässt sich trotzdem nur schwer verbergen und muss festgehalten werden, das hat absolut nichts mit Pietätlosigkeit zu tun, sondern ist das trockene Resultat nicht nur von Wirtschaftsrechnungen. Leider haben nachfolgende Regierungen keinerlei Bedarf, ein gesellschaftsatmosphärisches Klimaschutzbündnis herzustellen, im Gegenteil, anders sind menschenverachtende Ereignisse wie ein medialer Shitstorm aufgrund der Tatsache, Flüchtlinge, die aus rechtlichen Gründen ohnehin aufgenommen werden müssen, auch willkommen zu heißen. Hier zeigen die Zerrspiegel vielleicht die wahren Fratzen, Parteiorganisationen sollten sich einmal etwas genauer anschauen, was ihre Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern so erzählen und veranstalten.

Die meisten Menschen, die in diesem Land leben, haben sehr viele Gemeinsamkeiten, zählen wir ein paar auf: Die meisten waren noch nie auf der Flucht, mussten vor Terror, Krieg und Drangsalierungen emigrieren, unter nicht vorstellbaren Bedingungen auf nicht vorstellbaren Reisen, die meisten von uns haben gar keine Ahnung, was Krieg überhaupt bedeutet. „Krieg ist schlimmer als die schlimmste Vorstellung“ lautet ein Zitat, dem nichts hinzuzufügen ist. Die meisten von uns haben ein Dach über dem Kopf, im Winter ist es unter diesem Dach schön warm. Die meisten von uns können dort auch immer genug essen. Wir haben Schulen, wir haben Arbeit, wir haben Geld, um uns das wichtigste einkaufen zu können, wir sind bekleidet. Das alles ist in einer Kriegssituation außer Kraft gesetzt. Dort stehen aber keine Zerrspiegel, das ist alles echt. Der Tod dort ist echt, die Grausamkeit auch, der Hunger, kein Obdach, alles echt, alles dreidimensional, fühlbar, spürbar, sichtbar. Eine solche zerstörte Umgebung würde wohl jeder gerne verlassen. Solchen Menschen zu begegnen, indem ihnen gleich einmal vorgeworfen wird, sich schnell zu vermehren, kriminell zu und überhaupt einfach falsch am Platz zu sein, überschreitet alle Grenzen des Erträglichen, da gibt es nichts zu relativieren, zu verstehen, abzuwägen. Es ist ein Paradebeispiel, um sich mitzuschämen: Das ist die einzig wahre Pietätlosigkeit, die zur Zeit lesbar, hörbar und sichtbar ist. Es bestätigt uns die Anwesenheit eines Mobs, den man nur aus der Geschichte zu kennen vermeint und der sehr wohl auch außerhalb eines einschlägigen rechten Lagers zu finden ist. Es muss uns veranlassen, lauter gegen solche Auswüchse anzutreten. Wir müssen lauter werden gegen menschenverachtende Tendenzen, die schleichend zu einem Mainstream werden, der achselzuckend zur Kenntnis genommen wird. Am lautesten aber ist das Schweigen aus jenen Ecken, aus denen korrektives Grollen und Getöse zu vernehmen sein müsste. Dort könnte, wenn nicht bald etwas geschieht, mit einem lauten Knall die Tatsache einschlagen, bei nächsten Regierungsverhandlungen ebenso nur Passagier zu sein wie so viele Flüchtlinge in diesen kaputten Zeiten. Dass eine Politik, die rechter sein will als der rechte Unsinn aus der Opposition nicht nur nicht funktioniert, sondern auch Wählerstimmen verloren gehen lässt, sollte sich schön langsam auch in höchste Parteigremien durchgerungen haben. Die Pöbelpolitik sollte wirklich den Pöbelprofis überlassen werden, auch auf der Autobahn hieß es einst: Rechts vorbei ist ganz daneben.

(C) commons.wikimedia.org/wiki/User:4028mdk0...




[Artikel/Walter Schaidinger/24.10.2014]





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